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Neue digitale Geschäftsmodelle

Vom Maschinenbauer zum Serviceanbieter – wo stehen Sie?

Der Wandel vom klassischen Produktverkauf zu ergebnisorientierten Geschäftsmodellen verläuft in drei klaren Schritten. Lesen Sie, wie Sie Ihre Position bestimmen und die nächste Stufe erreichen.

Die Maschinenbau-Branche steht vor einem Paradigmenwechsel: weg vom reinen Produktverkauf hin zu serviceorientierten Geschäftsmodellen. Wer diese Transformation meistert, kann Kunden langfristig binden, kontinuierliche Umsätze generieren und sich vom Wettbewerb abheben. Jeder kann heute schon damit anfangen – ganz gleich, in welcher Ausgangsposition er sich befindet. Was Servitization im Maschinen- und Anlagenbau konkret bedeutet und wie der Einstieg am besten gelingt, erfahren Sie hier auf Mittelstand Heute.

Definition

Was ist Servitization? 

Servitization oder Servitisierung heißt konkret: den Kundennutzen in den Mittelpunkt rücken und verstärkt auf Dienstleistungen fokussieren. Während Maschinenbauer zunächst ergänzende Services zu ihren Produkten anbieten, entwickeln sie im fortgeschrittenen Stadium umfassende Lösungen aus Produkten, technischen Services und digitalen Angeboten im Subscription-Modell. Die Anlage wird schließlich selbst zum Service: Kunden kaufen nicht mehr nur die Produktionsmaschine, sondern zahlen für das Ergebnis, das sie damit erzielen. Zwischen Kunden und Hersteller entsteht eine enge Partnerschaft, die auf gemeinsamem Erfolg basiert.  

Warum Servitisierung für Maschinenbauer alternativlos ist

Wer weiterhin auf seinem traditionellen Geschäftsmodell verharrt, wird langfristig an Bedeutung verlieren, stellt eine VDMA-Studie fest.[1] Schon seit Jahren verzeichnen Maschinenbauer stagnierende Umsätze im Produktverkauf. So hatten 2024 60 Prozent der Unternehmen einen niedrigeren Auftragsbestand als im langjährigen Durchschnitt.[2] Der Preisdruck durch globale Anbieter, die günstiger produzieren können, wird immer härter. Während die Margen sinken, steigen die Kundenerwartungen an Service, Individualisierung und Geschwindigkeit. Nicht umsonst zählen Industrie 4.0 und die digitale Transformation von Geschäftsmodellen zu den vier Top-Trends und Herausforderungen der Branche. Indem Hersteller Prozesse End-to-End digitalisieren und sich zum Lösungsanbieter weiterentwickeln, können sie sich vom Wettbewerb abheben. Über Servitisierung schaffen sie Mehrwerte, für die der Kunde gerne auch mehr bezahlt.

Welche Vorteile bringt Servitization für Kunden? 

  • Kostenersparnis und Planungssicherheit: Indem Kunden Maschinen nicht mehr kaufen, sondern als Service beziehen, haben sie planbare Betriebsausgaben statt hoher Investitionskosten. Das sichert die Liquidität, gerade in Zeiten schwankender Auftragslagen.

  • Kalkulierbares Risiko: Kunden übertragen das Risiko von Maschinenausfällen, Reparaturen oder Instandhaltungskosten auf den Hersteller. Dadurch steigern sie ihre Betriebssicherheit und können Kosten klar kalkulieren. 

  • Maximale Verfügbarkeit und Produktivität: Da der Hersteller für die optimale Performance der Maschine sorgt und den Betrieb sicherstellt, wird die Effizienz in der Produktion gesteigert. 

  • Fokus auf das Kerngeschäft: Kunden können ihre Ressourcen vollständig auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und müssen selbst kein spezialisiertes Personal für die Betreuung der Maschinen vorhalten. 

  • Zugang zu neuester Technologie und Expertise: Der Hersteller hält die Maschine stets auf dem aktuellen Stand, kümmert sich um Software-Updates und stellt sein Expertenwissen bereit. So profitieren Kunden von kontinuierlicher Optimierung.

Welche Vorteile bringt Servitization für Hersteller? 

  • Stabile, wiederkehrende Umsätze: Serviceverträge und Abonnements schaffen eine planbare, kontinuierliche Einnahmequelle, die unabhängig vom volatilen Projektgeschäft ist.  
  • Höhere Gewinnmargen: Während der reine Hardware-Verkauf oft unter hohem Preisdruck steht, bieten Dienstleistungen deutlich bessere Margen.  
  • Starke Kundenbindung und Loyalität: Durch kontinuierliche Betreuung und enge Zusammenarbeit rücken Maschinenbauer näher an ihre Kunden heran. Sie werden zum langfristigen Partner und gewinnen viele Möglichkeiten für Cross- und Up-Selling. 
  • Wettbewerbsdifferenzierung: Dienstleistungen lassen sich schwerer kopieren als reine Produkteigenschaften. Hersteller, die einzigartige Serviceangebote entwickeln, können sich klar vom Wettbewerb abheben und neue Marktchancen nutzen.
  • Wertvolle Daten-Einblicke: Maschinenbauer gewinnen wichtige Informationen darüber, welche Funktionen der Kunde bevorzugt nutzt, wie die Maschine konfiguriert ist und wie performant sie arbeitet. Diese Daten können direkt in die Produktentwicklung, Serviceoptimierung und Vertriebsstrategie einfließen.



Die 3 Entwicklungsstufen vom Hersteller zum Serviceprovider

Servitization ist ein Wandel des Geschäftsmodells, der eng mit der digitalen Transformation in der Industrie zusammenhängt. Je weiter ein Unternehmen bereits mit seiner Digitalisierung fortgeschritten ist, desto höher der Servicereifegrad. Jeder kleine Fortschritt eröffnet neue Möglichkeiten, und jedes Unternehmen kann auf der Stufe einsteigen, auf der es sich aktuell befindet.

Stufe 1: Produktzentrierte Dienstleistungen 

Im traditionellen Geschäftsmodell fokussieren Hersteller auf den Maschinenverkauf und bieten ergänzende Dienstleistungen an, die den Kunden im Betrieb unterstützen und erste wiederkehrende Umsätze generieren.  

Beispiele für konkrete Serviceprodukte: 

  • Klassische Wartungs- und Serviceverträge: Hersteller führen regelmäßige Inspektionen durch. Im Störungsfall reagieren sie innerhalb der vereinbarten Zeit und stellen die Verfügbarkeit schnell wieder her.

  • Remote Services: Service-Teams überwachen Anlagen aus der Ferne, greifen bei Problemen sofort ein und lösen viele Störungen digital. So lassen sich teure Vor-Ort-Einsätze reduzieren.

  • Ersatzteilmanagement: Maschinenbauer stellen Ersatzteile strukturiert bereit. Über einen Online-Shop oder ein digitales Serviceportal können Kunden die benötigten Teile schnell und komfortabel bestellen.

  • Schulungen & Trainings: Hersteller schulen das Personal des Kunden gezielt im Umgang mit den Maschinen. So bauen die Mitarbeitenden Wissen auf, vermeiden Fehler und sorgen für einen optimalen, sicheren Betrieb.

Stufe 2: Verwendungsbasierte Dienstleistungen 

Mit fortgeschrittener Digitalisierung entwickeln Hersteller proaktive, datenbasierte Serviceprozesse. Über IoT erfassen sie Maschinen- und Nutzungsdaten aus der Kundenumgebung, anhand derer sie tiefe Einblicke gewinnen, wie sie den Kunden vorausschauend unterstützen können. Dadurch wird die Kundenbeziehung enger. Der Fokus liegt jetzt stärker auf Leasing- und Subscription-Modellen.  

Beispiele für digitale Geschäftsmodelle:  

  • Vorausschauende Wartung (Predictive Maintenance): Durch die Analyse von Echtzeitdaten können Maschinen- und Anlagenbauer drohende Probleme so frühzeitig und präzise erkennen, dass sich ungeplante Stillstände vermeiden lassen. Predictive Maintenance erfordert nicht zwangsläufig komplexe KI-Modelle. Erste Anwendungsfälle sind auch mit einfachen Algorithmen, Mustererkennung und Regressionen realisierbar. Ein Beispiel: Anhand des Verbrauchsmusters lässt sich vorhersagen, wann das Schmieröl in einer Maschine nachgefüllt werden muss.

  • Self-Service-Portale: In einem digitalen Kunden- und Serviceportal können Maschinenbauer die gesamte Kommunikation mit dem Kunden unter einem zentralen Touchpoint bündeln und viele Angebote im Self-Service bereitstellen. Kunden finden dort zum Beispiel Tutorials und technische Dokumentationen zu ihren eingesetzten Maschinen, können Ersatzteile bestellen, den Order-Status nachvollziehen, den Support kontaktieren oder ihre Maschinendaten einsehen. Die Lindauer Dornier GmbH hat auf diese Weise die Effizienz im Service gesteigert und die Kundenbindung gestärkt.

  • Datenbasiertes Ersatzteilmanagement: Anhand von Daten lässt sich das Ersatzteilmanagement optimieren. Die Heller Services GmbH erleichtert ihren Kunden zum Beispiel die Ersatzteilbestellung über eine Visualisierung der eingesetzten Maschinen. Indem Kunden auf ein 3D-Modell im digitalen Serviceportal klicken, gelangen sie direkt zum passenden Produkt.

  • Equipment as a Service: Die Verbindung aus IoT, digitalem Serviceportal und ERP ermöglicht digitale End-to-End-Prozesse und schafft die Voraussetzung für Equipment as a Service (EaaS). In diesem Geschäftsmodell verkaufen Maschinenbauer ihre Anlagen nicht mehr, sondern bieten sie als Service an. Kunden zahlen eine regelmäßige Gebühr für die Nutzung (Pay per Use), während der Hersteller die Verfügbarkeit der Maschine garantiert und das Betriebsrisiko übernimmt. Um EaaS wirtschaftlich aufzusetzen, ist Predictive Maintenance unverzichtbar. 



Stufe 3:  Ergebnisorientierte Dienstleistungen  

Im höchsten Servicereifegrad zahlen Kunden nicht mehr für die Nutzung einer Maschine, sondern für das Ergebnis, das sie damit erzielen. Die Maschine wird zur intelligenten, autonomen Plattform, die dieses Ergebnis sicherstellt. Service und Produktentwicklung wachsen zu einem Continuous Lifecycle Loop zusammen, wobei Erkenntnisse aus dem Service dazu beitragen, Produkte kontinuierlich zu optimieren und genau an den Marktanforderungen auszurichten. Der Service im Maschinenbau wird zum integralen Bestandteil der Lösung und zum Wachstumstreiber.

Beispiele für hoch digitalisierte Geschäftsmodelle: 

  • Pay per Performance / Pay per Productivity / Pay per Outcome: Die Vergütung richtet sich nach klar definierten Leistungskennzahlen – etwa nach produzierter Stückzahl, erreichten Qualitätsstandards oder erzielter Verfügbarkeit. Das stärkt die Bedeutung des Services – die Maschine bringt nur Einnahmen, wenn sie läuft und gute Ergebnisse liefert. Der Erfolg des Herstellers ist eng an den Erfolg des Kunden gebunden. Service wird damit zu einem wesentlichen Vertriebsargument und zum entscheidenden Wertschöpfungsfaktor. 

  • Autonomer Service: Digitale End-to-End-Prozesse und der Einsatz von künstlicher Intelligenz ermöglichen eine durchgängige Automatisierung von Serviceprozessen. Ein Beispiel ist das Ersatzteilmanagement mit digitalem Zwilling: Über IoT gesammelte Echtzeit-Maschinendaten fließen in ein exaktes virtuelles Abbild der Kundenumgebung im Serviceportal ein. Dort überwacht sich die Maschine selbst (Condition Monitoring). KI berechnet, wann eine Wartung erforderlich ist (Predictive Maintenance), bestellt automatisiert das nötige Ersatzteil (Predictive Ordering), vereinbart einen Termin mit dem Servicetechniker und unterstützt bei der Fehleranalyse. Die Maschine wird über ihre Lebenszeit durch Software-Updates kontinuierlich auf dem aktuellen Stand gehalten. 

Die 3 Erfolgsfaktoren der Servitisierung 

Serviceorientierte Geschäftsmodelle erfordern nicht nur einen technischen, sondern auch einen kulturellen und organisatorischen Wandel. Maschinenbauer müssen ein neues Mindset entwickeln – weg vom Ingenieursdenken („Was ist technisch perfekt?“) hin zum kundenzentrierten Denken („Welche Anforderungen sind zu erfüllen?“). Die Kundenbedürfnisse und der Kundennutzen rücken in den Fokus. Vor allem der Vertrieb muss sich neu ausrichten: Statt Produkte zu verkaufen, besteht seine Aufgabe künftig darin, enge Kundenbeziehungen zu pflegen und passende Lösungen für den gemeinsamen Erfolg zu finden. 

Auf technischer Seite ist eine Verbindung aus IoT, digitalem Kundenportal und ERP erforderlich, um digitale End-to-End-Prozesse abzubilden. Besonders gut eignen sich hierfür Lösungen aus dem SAP-Kosmos, da sie eine einheitliche Systemlandschaft und eine nahtlose Zusammenarbeit sicherstellen. SAP S/4HANA schafft zum Beispiel eine zukunftsfähige ERP-Basis, während die SAP Sales Cloud den Baukasten für ein digitales Serviceportal liefert. Außerdem müssen Hersteller ihr Finanzwesen umstellen, um neue Geschäftsmodelle wie Pay per Use oder Pay per Outcome zu ermöglichen. 

Fazit: Jeder kann jetzt schon mit Servitization starten 

Die Entwicklung vom Hersteller zum Lösungsanbieter ist keine Zukunftsvision, sondern ein Projekt, das jeder sofort angehen kann. Der entscheidende Schritt besteht darin, die Perspektive zu wechseln und die eigene Maschine durch die Augen der Kunden zu betrachten. Jedes Unternehmen kann auf seinem aktuellen Stand beginnen und sich schrittweise weiterentwickeln – vom einfachen Servicevertrag bis hin zum ergebnisorientierten Partnerschaftsmodell. Unternehmen, die diesen Weg konsequent verfolgen, erzielen nicht nur dauerhaften Mehrwert, sondern bauen eine tiefe, nachhaltige und kaum kopierbare Beziehung zu ihren Kunden auf, die sie zukunftssicher macht. 

Empfehlung

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