Eine wellige Struktur in den Farben Blau, Grün und Braun

Auf Best Practices zurückgreifen? SAP-Migration: Wann der Greenfield-Ansatz sinnvoll ist

Für die Transformation auf die SAP S/4HANA Public Cloud ist der Greenfield-Ansatz oft eine gute Wahl. Ein SAP-Experte erklärt warum.

Ob Neueinstieg oder Transformation: Für viele Unternehmen steht in nächster Zeit der Schritt zu SAP S/4HANA an. Allerdings gibt es dafür unterschiedliche Ansätze – genauer gesagt drei: Greenfield, Brownfield und Bluefield.

Für SAP S/4HANA...

Greenfield, Brownfield oder Bluefield?

Greenfield (Neueinführung)

  • Einführung eines neuen Systems basierend auf den Best Practices von SAP
  • Stammdaten können übernommen werden; die Prozessstruktur wird neu aufgebaut.
  • Unternehmen können sich von komplexen historisch gewachsenen Strukturen befreien und die Vorteile der SAP S/4HANA Public Cloud voll nutzen.

Brownfield (Wiederverwendung)

  • Einführung einer „leeren“ SAP-S/4HANA-Hülle, die mit den Bestandsdaten und -prozessen befüllt wird
  • Alle historischen Daten und Entwicklungen werden beibehalten.
  • Vorteile der Best Practices und Standardisierung sind nicht voll nutzbar und das System behält seine Komplexität bei.

Bluefield (hybride Lösung)

  • Einführung einer „leeren“ SAP-S/4HANA-Hülle, die selektiv mit Daten und Prozessen gefüllt wird
  • Unternehmen können gezielt auswählen, welche historischen Daten, Prozesse und Entwicklungen übernommen werden sollen.
  • Die historisch gewachsene Komplexität bleibt weitgehend erhalten.

Für Unternehmen, die ihr über die Zeit immer komplexer gewordenes ERP-System verschlanken möchten oder neu in den SAP-Kosmos kommen, ist der Greenfield-Ansatz oftmals die richtige Lösung. Der Greenfield-Ansatz ist, wie der Name suggeriert, eine Neuimplementierung von der „grünen Wiese“ weg. Dabei werden alle Prozesse und Systeme neu installiert und konfiguriert.

Zur Orientierung für die Prozesse und Strukturen dienen die Best Practices von SAP. Experte Marko Lorenz vom Business-IT-Dienstleister All for One Group erklärt im Gespräch mit Mittelstand Heute, was Unternehmen beachten sollten und wie sie am besten vorgehen.

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Marko Lorenz ist Sales Executive beim Business-IT-Spezialisten All for One Group und weiß, welcher Ansatz für welchen Use Case der richtige ist. Bild: All for One Group

Mit dem Greenfield-Ansatz Geschäftsprozesse nach SAP Best Practices implementieren

Mittelstand Heute: Marko, eine komplette Prozessstruktur neu aufzusetzen – das klingt nach großem Aufwand. Warum empfiehlst Du den Greenfield-Ansatz dennoch?

Marko Lorenz: Aufbauend auf Jahrzehnten an Erfahrung hat SAP für S/4HANA Public Cloud gewisse Standardprozesse und Entwicklungen als Best Practices hinterlegt. Das ermöglicht es Betrieben, ihr ERP schlank und schnell aufzusetzen. Die Wartung nimmt weniger Ressourcen in Anspruch, neue Releases lassen sich schneller abwickeln und das Gesamtsystem wird agiler.

Trotzdem ist auch beim Greenfield-Ansatz ein bestimmter Grad – häufig mehr als die meisten erwarten – an Individualisierung möglich. In den meisten Fällen machen wir mit den Unternehmen zunächst einen Fit-to-Standard-Check. Das heißt, wir überprüfen, welche Prozesse der Kunde heute sowie in Zukunft abbilden möchte und was davon mit den Best Practices von SAP kompatibel ist. Wenn wir dabei auf Abweichungen stoßen, können wir gewisse Anforderungen außerhalb der Standards abbilden. Allerdings sollten mindestens 80 Prozent der Anforderungen in den Best Practices enthalten sein. Wünschen sich Unternehmen einen höheren Individualisierungsgrad, dann können Brownfield oder Bluefield die sinnvolleren Alternativen sein.

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Mittelstand Heute: Wie finden Unternehmen heraus, was für sie passt?

Marko Lorenz: Den richtigen Ansatz finden Firmen am schnellsten zusammen mit einem IT-Dienstleister. Bei einem ersten Discovery-Workshop wird klar, welche Anforderungen vorliegen und ob eine Neuimplementierung, eine Wiederverwendung oder eine hybride Lösung der beste Weg ist. Wir empfehlen Unternehmen, sich bei der SAP-S/4HANA-Migration nicht auf Ausschreibungen und Anforderungskataloge festzulegen. Denn darin spiegelt sich der Stand der Dinge wider und nicht die Prozesslandschaft, die in Zukunft benötigt wird. Und häufig auch nicht der Industriestandard.

Moderne Geschäftsprozesse verdienen eine moderne Form

Mittelstand Heute: Da sprichst Du einen wichtigen Punkt an. Wie lassen sich Prozesse zukunftsgerichtet modernisieren?

Marko Lorenz: Für diesen Zweck ist der Greenfield-Ansatz unschlagbar. SAP S/4HANA und seine Best Practices sind dafür ausgelegt, die Bedürfnisse von Industrie und Handel an ein modernes ERP-System zu erfüllen. Bei Brownfield oder Bluefield besteht die Gefahr, alte Strukturen lediglich in neue Formen zu gießen. Eine nachhaltige Verschlankung und Modernisierung bleiben zwar trotzdem möglich: Mit dem Greenfield-Ansatz allerdings bauen Unternehmen zusammen mit einem erfahrenen Dienstleister Strukturen und Prozesse direkt am Gerüst des neuen Systems auf.

Mittelstand Heute: Bietet der Greenfield-Ansatz noch weitere Vorteile?

Marko Lorenz: Firmen müssen den Greenfield-Ansatz nicht direkt für die gesamte Unternehmensstruktur ausrollen. Das Konzept lässt sich als Land-and-Expand-Strategie verfolgen. Dabei werden zuerst bestimmte Bereiche oder besonders wichtige Prozesse transformiert, zum Beispiel Finance.

Weitere Bereiche folgen dann in einem Phasenplan genauso wie weitere Gesellschaften, oder auch Landesgesellschaften nachdem das Initialprojekt – häufig auch Leuchtturmprojekt genannt – ein Erfolg war. Mit dieser Strategie lässt sich die SAP-S/4HANA-Transformation häppchenweise umsetzen. Die Verantwortlichen werden nicht durch zu weitreichende Veränderungen überfordert. Bei Land and Expand sind immer wieder kleine Erfolge sichtbar, die Sicherheit bei den verbleibenden Anpassungen geben.

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Der Greenfield-Ansatz in der Praxis

Mittelstand Heute: Das hört sich sehr gut an, aber auch etwas abstrakt. Kannst Du uns hierfür konkrete Beispiele nennen?

Marko Lorenz: Die folgenden zwei Beispiele zeigen, wie sich die SAP-S/4HANA-Transformation erfolgreich über einen Greenfield-Ansatz abwickeln lässt:

Der mittelständische Maschinenbauer SABO-Maschinenfabrik wollte sein ERP-System in die Cloud heben, um für künftiges Wachstum, auch international, gut vorbereitet zu sein. Um Logistik und Vertrieb nahtlos zu verbinden und langwierige interne Absprachen zu verhindern, entschied sich der Gartengerätehersteller für die Public-Cloud-Variante von SAP S/4HANA mit einem Greenfield-Ansatz.

Anspruch war: Zeitnah ein flexibles, transparentes und auf Wachstum ausgerichtetes System zu implementieren. Im produzierenden Gewerbe sind die Geschäftsprozesse oft sehr ähnlich. Deshalb war es sinnvoll, mit einer Standardlösung zu arbeiten. Über die Greenfield-Migration bekam das Unternehmen ein intuitiv bedienbares ERP-System, welches Vertriebsmitarbeiter auch im Außendienst nutzen können. Dank Cloud-Hosting und Standardisierung lassen sich auch Updates vergleichsweise einfach einspielen. Neue Anforderungen einer Wachstumsstrategie oder einer Internationalisierung können über Cloud-Dienste bedient werden.

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Das zweite Beispiel: Für den Foto-Druck-Dienstleister White-Wall war die zeitliche Komponente bei der ERP-Implementierung zentral. Die Cewe-Gruppe hatte das Unternehmen aufgekauft. Damit der Neuanfang funktionieren konnte, musste auch ein neues ERP-System angeschafft werden.

Da White-Wall bereits seit zehn Jahren mit SAP-Lösungen gearbeitet hatte, fiel die Wahl auf SAP S/4HANA in der Public Cloud. Mit dem Greenfield-Ansatz schaffte es das Unternehmen zusammen mit der All for One, das neue ERP-System in sechs Monaten aufzusetzen und in Betrieb zu nehmen. Für die Cewe-Gruppe zeigt das Leuchtturmprojekt, dass es möglich ist, in einer Unternehmensgruppe erfolgreich und zeitnah ein neues ERP-System einzuführen.

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Mittelstand Heute: Kurz zusammengefasst: Für wen eignet sich der Greenfield-Ansatz nun?

Marko Lorenz: Für fast alle Betriebe, die eine „echte“ digitale Transformationsstrategie verfolgen und ihre Prozesslandschaft „entrümpeln“ möchten um sich künftig effizienter und transparenter aufzustellen!!

Ob die Methode für das jeweilige Unternehmen tatsächlich die richtige ist, das klären sie idealerweise in einem Beratungstermin mit unseren Experten.

Mittelstand Heute: Marko, vielen Dank für das Interview!

Quelle Aufmacherbild: unsplash+