31.07.2020 – Lesezeit: 4 Minuten
Geschäftsführung / Technologie
„Echte“ Künstliche Intelligenz: Jetzt kommt der Neurotransistor
Forscher kommen einer „echten“ Künstlichen Intelligenz (KI) immer näher – in Form von Nanoelektronik, die wie das Gehirn lernt. Es ist der erste Neurotransistor überhaupt. Er wurde an der TU Dresden und dem Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) vorgestellt.
Es ist ein wissenschaftlicher Durchbruch und eine neue Stufe der Robotik: Wissenschaftler der TU Dresden und des HZDR haben den ersten Neurotransistor der Welt entwickelt. Die Problemstellung: Vor allem Aufgaben aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz verlangen stets nach leistungsfähigeren und dabei gleichzeitig sparsameren Computerchips, um beispielsweise Robotern das Laufen zu lernen oder präzise automatische Bilderkennung zu ermöglichen.
Während die Optimierung herkömmlicher Mikroelektronik immer näher an physikalische Grenzen kommt, zeigt die Natur am Beispiel des Gehirns, wie sich Informationen schnell und energieeffizient verarbeiten und speichern lassen. Forschern der TU Dresden und des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) ist es erstmals gelungen, die Funktionsweise der Neuronen des Gehirns mit Halbleitermaterialien nachzuahmen.
Die heute gängige Methode, um die Leistungsfähigkeit von Mikroelektronik weiter zu erhöhen, liegt in der Verkleinerung der Komponenten – insbesondere der einzelnen Transistoren auf den Computerchips aus Silizium. „Das geht aber nicht unendlich – wir benötigen neue Ansätze“, erklärt Dr. Larysa Baraban, Institut für Radiopharmazeutische Krebsforschung am HZDR.
Der neue Ansatz orientiert sich am Gehirn und verbindet Datenverarbeitung mit Datenspeicherung in einem künstlichen Neuron. „Unsere Gruppe hat viel Erfahrung mit biologischen und chemischen elektronischen Sensoren“, so Baraban. „Deshalb haben wir die Eigenschaften der Neuronen mit den Prinzipien von Biosensoren simuliert und einen klassischen Feldeffekttransistor so verändert, dass ein künstlicher Neurotransistor entsteht.“
Neue Architektur des künstlichen Gehirns
Der Vorteil einer solchen Architektur liegt gerade in der gleichzeitigen Speicherung und Verarbeitung von Informationen in ein und demselben Bauelement. Denn diese sind bei herkömmlicher Transistortechnik getrennt, was der Verarbeitungszeit und damit letztendlich auch der Leistungsfähigkeit Grenzen setzt.
Die Idee, Computer nach dem Vorbild des Gehirns zu entwerfen, ist an sich nicht neu. Bereits vor Jahrzehnten gab es schon Versuche, Nervenzellen in der Petrischale mit Elektronik zu verbinden. „Aber niemand braucht einen nassen Computerchip, der regelmäßig gefüttert werden muss“, betont Prof. Dr. Gianaurelio Cuniberti, Professor für Materialwissenschaft und Nanotechnik TU Dresden.
Cuniberti ist zusammen mit dem Dresdner Professor für Grundlagen der Elektrotechnik, Ronald Tetzlaff, und Leon Chua von der University of California in Berkeley, der bereits Anfang der 1970er-Jahre ähnliche Bauelemente postuliert hatte, einer der drei geistigen Väter des Neurotransistors.
Das System lernt selbstständig
Nun konnten Cuniberti, Baraban und ihr Team ihn umsetzen: „Wir bringen dafür eine zähflüssige Substanz – Solgel genannt – auf einen herkömmlichen Siliziumwafer mit den Schaltungen auf. Dieses Polymer härtet aus und wird zu einer porösen Keramik“, erläutert Cuniberti. „Zwischen den Löchern bewegen sich Ionen. Sie sind schwerer als Elektronen und springen nach einer Anregung langsamer auf ihre Position zurück. Diese Verzögerung nennt man Hysterese und die ist für den Speichereffekt verantwortlich.“ Das hat entscheidenden Einfluss auf die Funktionsweise, so Cuniberti. „Je stärker der einzelne Transistor angeregt wird, umso eher öffnet er und lässt den Strom fließen. Damit verstärkt sich die entsprechende Verbindung. Das System lernt.“
Das Ziel sind dabei weniger auf herkömmliche Problemstellungen. „Computer auf Basis unseres Chips wären weniger präzise und würden mathematische Berechnungen eher schätzen als bis in die letzte Nachkommastelle zu berechnen“, erklärt Cuniberti. „Aber sie wären intelligenter. Ein Roboter mit solchen Prozessoren würde damit beispielsweise laufen oder greifen lernen, ein optisches System besitzen und lernen, Zusammenhänge zu erkennen. Und das alles, ohne Software entwickeln zu müssen.“
Das sind aber nicht die einzigen Vorteile neuromorpher Computer. Dank ihrer sogenannten Plastizität, die der des menschlichen Gehirns ähnelt, können sie sich im laufenden Betrieb an veränderte Aufgabenstellungen anpassen und auch solche Probleme lösen, für die sie ursprünglich nicht programmiert wurden.
Wissenschaftliche Details
Neuromorphe Architekturen verschmelzen Lern- und Gedächtnisfunktionen innerhalb einer einzigen Einheitszelle und auf neuronenähnliche Weise. Die Forschung auf diesem Gebiet hat sich hauptsächlich auf die Plastizität künstlicher Synapsen konzentriert. Die intrinsische Plastizität der neuronalen Membran ist jedoch auch für die Implementierung der neuromorphen Informationsverarbeitung von Bedeutung.
Cuniberti berichtet über einen Neurotransistor aus einem Silizium-Nanodraht-Transistor, der mit einem ionendotierten Sol-Gel-Silikatfilm beschichtet ist, der die intrinsische Plastizität der neuronalen Membran nachahmen kann. Die Neurotransistoren werden mit einem herkömmlichen komplementären Metall-Oxid-Halbleiter-Prozess auf einem 200 mm (8 Zoll) großen Silizium-auf-Isolator-Wafer hergestellt.
Durch bewegliche Ionen kann die Folie als Pseudo-Gate fungieren, das Speicher erzeugt und es dem Neurotransistor ermöglicht, Plastizität zu zeigen. Es zeigt sich, dass mehrfach gepulste Eingangssignale des Neurotransistors durch sigmoidale Transformation in den Ausgangsstrom nichtlinear verarbeitet werden, was der Funktionsweise einer neuronalen Membran ähnelt. Die Ausgangsreaktion wird durch die Eingangssignalhistorie bestimmt, die als ionische Zustände innerhalb der Silikatschicht gespeichert wird und dadurch den Neurotransistor mit Lernfähigkeiten ausstattet.
Robotik im Mittelstand
Es wird sicher noch mehrere Jahre dauern, bis der Neurotransistor einsatzbereit ist. Aber schon heute gibt es etliche Szenarien, mit denen intelligente Roboter mit Maschinenlernen und dem Internet der Dinge Ihr Unternehmen voranbringen können. Die Experten der All for One Group helfen bei der Umsetzung dieser Projekte in mittelständischen Unternehmen.
Quelle: Titelbild pixabay, padrinan / Neuromorpher Computer HZDR