Wie Unternehmen durch integrierte Strukturen neue Geschäftsmodelle erschließen und langfristig resilient bleiben.
Der deutsche Mittelstand steht an einem Wendepunkt. Steigende Kosten und die zunehmende Markttransparenz erhöhen den Druck. Gleichzeitig verändern sich die Erwartungen der Kunden. Gefragt sind schnelle Reaktionszeiten, flexible Lösungen und eine Betreuung, die weit über die reine Produktlieferung hinausgeht.
In diesem Umfeld gewinnt ein Bereich an strategischer Bedeutung, der lange unterschätzt wurde: der Service. Er ist längst nicht mehr bloß ein nachgelagertes Anhängsel, sondern entwickelt sich zum Differenzierungsfaktor. Allerdings entfaltet der Service seine volle Wirkung nur dann, wenn er eng mit dem Vertrieb zusammenarbeitet. Diese Teamfähigkeit entscheidet zunehmend über die Wettbewerbsfähigkeit.
Die klassische Rollenverteilung war jahrzehntelang eindeutig: Der Vertrieb kümmerte sich um den Absatz neuer Produkte, der Service um Wartung und Reparaturen. Diese Trennung greift in einer zunehmend lösungsorientierten Wirtschaft jedoch zu kurz. Kunden kaufen keine Maschinen oder Softwarepakete mehr, sondern erwarten komplette Lösungen, die auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnitten sind.
Doch genau an diesem Punkt stoßen viele Unternehmen an Grenzen. Vertriebsmitarbeiter, die jahrelang Produkte verkauft haben, fühlen sich beim Thema Service unsicher und tun sich schwer, diese Dienstleistungen aktiv anzubieten. Umgekehrt verfügen Servicetechniker über wertvolles Wissen aus dem täglichen Kontakt mit Kunden, nehmen sich aber selbst nicht als Verkäufer wahr. Das Resultat: Wertvolle Informationen gehen verloren, Chancen für Cross- oder Up-Selling werden nicht genutzt, und die Kundenerfahrung bleibt fragmentiert.
Kurzum: Wenn Vertriebs- und Serviceteams voneinander getrennt bleiben, verlieren sie den gemeinsamen Fokus auf die Customer Experience. Wer jedoch Vertrieb und Service konsequent verzahnt, kann Margen steigern und langfristige Bindungen aufbauen. Der Servicetechniker, der regelmäßig beim Kunden vor Ort ist, genießt ein hohes Vertrauen.
Wird dieses Wissen mit den Vertriebsfähigkeiten kombiniert, entsteht ein Team, das nicht nur Probleme löst, sondern aktiv neue Potenziale erschließt. Das Power-Duo der Zukunft heißt Service & Vertrieb.
Eine der größten Hürden liegt in der Organisation selbst. Wer Service und Vertrieb enger zusammenbringen will, muss Strukturen neu denken. Einige Unternehmen entscheiden sich dafür, das Thema Service & Vertrieb organisatorisch fest zu verankern – etwa über spezialisierte Rollen, die beide Welten verbinden. Andere setzen auf hybride Modelle, bei denen eine zentrale Strategie mit dezentralen Service-Spezialisten kombiniert wird. So lassen sich Effizienz und Kundennähe gleichermaßen sicherstellen. Entscheidend ist in jedem Fall, Schnittstellen klar zu definieren und durchgängige Prozesse zu etablieren. Ein gut gepflegtes CRM-System bildet dafür das Rückgrat, da es Informationen zusammenführt und allen Beteiligten zugänglich macht.
Neben internen Strukturen gilt es auch, Vertriebspartner und Distributoren einzubinden. Gerade im produzierenden Mittelstand läuft ein erheblicher Teil des Geschäfts über indirekte Kanäle. Während sich der Produktvertrieb darüber gut skalieren lässt, stoßen Services – insbesondere digitale – hier an Grenzen. Ein möglicher Ansatz ist ein gestuftes Zertifizierungsmodell: Sogenannte „Distributoren“ beispielsweise konzentrieren sich auf Standardprodukte, „Service-Partner“ bringen ein erweitertes Leistungsportfolio ein und „Premium-Partner“ erhalten Zugriff auf das gesamte Angebot inklusive digitaler Services.
Auch die Art und Weise, wie verkauft wird, muss sich verändern. Ein Service lässt sich nicht so einfach in einem Produktkatalog abbilden. Er muss erklärt, kontextualisiert und in den Nutzen übersetzt werden. Genau hier kommt die gemeinsame Definition der Customer Journey ins Spiel.
Unternehmen, die ihre Serviceleistungen an sämtlichen Kontaktpunkten – von der Installation über die Nutzung bis hin zur Ersatzteilbestellung – transparent präsentieren, steigern ihre Chancen auf zusätzliches Geschäft. Vertrieb und Service können hier Hand in Hand arbeiten, indem sie ergänzende Dienstleistungen ins Gespräch bringen oder durch regelmäßige Check-ins Vertrauen aufbauen. Digitale Werkzeuge wie smarte Konfiguratoren oder Self-Service-Portale unterstützen diese Prozesse, machen Angebote transparenter und stärken die Glaubwürdigkeit. Das Ziel ist klar: weg vom reinen Abverkauf, hin zu einem wertbasierten Vertrieb, der gemeinsam mit dem Kunden Lösungen entwickelt.
3. Neue Skillsets etablieren
Ohne die richtigen Fähigkeiten bleibt selbst die beste Strategie wirkungslos. Service-Vertrieb verlangt ein anderes Kompetenzprofil als der klassische Produktverkauf. Fachliches Wissen allein reicht nicht mehr aus – Methodenkompetenz, Beratungsfähigkeit und Empathie gewinnen an Bedeutung.
Viele Unternehmen reagieren darauf mit neuen Rollenprofilen. Service Consultants oder PreSales-Spezialisten bündeln spezifisches Know-how und ergänzen das klassische Vertriebsteam. Hinzu kommen Ansätze wie der „Challenger Sale“, der darauf setzt, Kunden neue Einsichten zu vermitteln und mit ihnen Lösungen zu erarbeiten, anstatt nur Produkteigenschaften aufzuzählen. Um diese Veränderungen zu verankern, sind gezielte Trainings, praxisnahe Workshops und Rollenspiele sinnvoll. Sie helfen den Mitarbeitenden, Hemmschwellen zu überwinden und sich schrittweise im Service-Vertrieb zu etablieren.
4. Serviceorientierung verankern
Strukturen und Kompetenzen sind wichtig, doch ohne die richtige Kultur verpufft ihre Wirkung. Serviceorientierung muss Teil der DNA werden. Das beginnt bei den Anreizsystemen. Wenn ausschließlich schnelle Vertragsabschlüsse belohnt werden, rückt die langfristige Kundenbindung in den Hintergrund. Erfolgreiche Unternehmen koppeln deshalb ihre Incentives an Kennzahlen wie Vertragsverlängerungen, Kundenzufriedenheit oder wiederkehrende Umsätze.
Schließlich braucht es eine echte Teamkultur: Vertrieb und Service sollten sich nicht als Konkurrenten wahrnehmen, sondern gemeinsam Verantwortung für den Kundenerfolg übernehmen. Erst wenn beide Seiten am selben Strang ziehen, entsteht die Dynamik, die für Wachstum notwendig ist.
Die engere Zusammenarbeit eröffnet nicht nur Effizienzgewinne, sondern ganz neue Geschäftsmodelle. Immer mehr Unternehmen verabschieden sich vom einmaligen Produktverkauf und setzen auf wiederkehrende Erlösmodelle. Pay-per-Use oder Pay-per-Outcome sind dabei längst keine exotischen Ansätze mehr, sondern etablieren sich zunehmend als Standard.
Hinzu kommen digitale Angebote, die auf Daten basieren. Mit Predictive Maintenance etwa wird es möglich, Ausfälle von Maschinen vorausschauend zu verhindern und Wartungen planbar zu gestalten. Serviceportale eröffnen Kunden die Möglichkeit, Ersatzteile zu bestellen oder Daten direkt online abzurufen. So verschiebt sich die Rolle des Herstellers oder Anbieters vom reinen Lieferanten hin zum Lösungsanbieter. Für den Kunden bedeutet das mehr Flexibilität und weniger Risiko, für das Unternehmen stabilere Margen und tiefere Beziehungen.
Die Transformation hin zu einem integrierten Service-Vertrieb muss kein Großprojekt sein, das Jahre in Anspruch nimmt. Erfolgreich sind Unternehmen, die schrittweise vorgehen und pragmatisch bleiben.
Am Anfang erfolgt eine ehrliche Bestandsaufnahme: Wo stehen Vertrieb und Service aktuell – organisatorisch, kulturell und technologisch? Darauf aufbauend lassen sich Pilotprojekte definieren, die in kleinem Rahmen starten, schnell Ergebnisse liefern und bei Erfolg skaliert werden können. Auf diese Weise wächst das Vertrauen in die neue Arbeitsweise.
Auch die Technologie spielt eine Rolle. Systeme wie CRM oder IoT-Lösungen entfalten jedoch nur dann ihren Nutzen, wenn Prozesse klar beschrieben sind und das Team mitzieht. Ebenso wichtig ist es, Feedbackschleifen zu etablieren. Servicemitarbeiter wissen aus erster Hand, welche Probleme auftreten, welche Funktionen tatsächlich genutzt werden und wo Verbesserungspotenziale liegen. Dieses Wissen muss systematisch in den Vertrieb und auch in die Produktentwicklung zurückfließen.
Die Zeiten klarer Abteilungsgrenzen sind vorbei. Vertrieb und Service sind zwei Seiten derselben Medaille – und nur gemeinsam in der Lage, die steigenden Anforderungen des Marktes zu erfüllen. Unternehmen, die beide Bereiche als Einheit denken, eröffnen sich neue Geschäftsmodelle und langfristige Resilienz.