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Digitale End-to-End-Prozesse stärken die Resilienz

Geschrieben von Customer Experience Redaktion | Oct 1, 2025 5:55:47 AM

Eine engere Verzahnung von Service und Produktentwicklung wird für den Maschinenbau künftig überlebenswichtig. Was sollten Unternehmen jetzt tun?

Globaler Wettbewerb, Fachkräftemangel und wachsende Kundenerwartungen setzen die Maschinenbau-Branche zunehmend unter Druck. Während der klassische Produktverkauf stagniert, stehen Unternehmen vor der Herausforderung, ihre Geschäftsmodelle weiterzuentwickeln. Entscheidend ist, näher an den Kunden zu rücken, digitale End-to-End-Prozesse zu etablieren und sich zum Lösungsanbieter zu transformieren. Welche Rolle spielt dabei die enge Verzahnung von Service und Produktentwicklung? Und wo sollten Unternehmen ansetzen? Mittelstand Heute sprach mit Andreas Dold, Senior Expert Industry Development bei der All for One Group.

Mittelstand Heute: Warum müssen Service und Produktentwicklung stärker zusammenwachsen?

Andreas Dold: Die klassische Trennung zwischen Entwicklung und Service ist heute nicht mehr zeitgemäß. Maschinenbau-Unternehmen stehen unter großem Wettbewerbsdruck – etwa durch Anbieter aus Regionen mit anderen Kostenstrukturen. Die Margen im Produktverkauf sinken, während Kunden gleichzeitig höhere Erwartungen an Service, Individualisierung und Geschwindigkeit stellen. Sich allein über die Produktentwicklung vom Wettbewerb abzuheben, wird immer schwieriger. Kunden können ganz einfach Produktdatenblätter vergleichen und das günstigste Angebot auswählen. Indem Unternehmen dagegen stärker auf den Service-Gedanken und Individualisierung fokussieren, verschaffen sie sich ein Alleinstellungsmerkmal. Sie können enge, langfristige Kundenbeziehungen aufbauen und höhere Margen erzielen. Dafür ist es wichtig, den Service nicht länger als nachträgliches Add-on zu betrachten, sondern in einem Continuous Lifecycle Loop mit der Produktentwicklung zu verbinden.

Mittelstand Heute: Was genau verbirgt sich hinter dem Schlagwort Continuous Lifecycle Loop?

Andreas Dold: Dabei handelt es sich um ein Modell, das den gesamten Lebenszyklus eines Produkts abbildet – von der Entwicklung über die Produktion und Inbetriebnahme bis hin zu Service und Weiterentwicklung. Das ist kein einmaliger, linearer Prozess, sondern eine Endlos-Schleife. Jede Phase liefert Erkenntnisse, die wieder in den Loop einfließen und kontinuierliche Optimierung ermöglichen. So können Maschinenbauer zum Beispiel anhand der Erfahrungen aus dem Service ihre Produkte zielgerichtet weiterentwickeln.

Mittelstand Heute: Welche Informationen kann der Service zum Beispiel an die Entwicklung zurückspielen?

Andreas Dold: Der Service ist die direkte Verbindung zum Kunden. Er gewinnt ein tiefes Verständnis dafür, was wirklich im Feld passiert. Welche Probleme treten regelmäßig auf? Welche Funktionalitäten nutzt der Kunde tatsächlich und welche kaum? Wie setzt er die Maschine ein? Welche Teile verschleißen vielleicht schneller als geplant und welche halten außergewöhnlich lange? Solche Informationen sind Gold wert für die Entwicklung. Denn sie liefern nicht nur technisches Feedback, sondern auch Hinweise darauf, ob bestimmte Designentscheidungen sinnvoll waren. Ist ein Bauteil vielleicht zu stark ausgelegt und dadurch unnötig teuer? Oder ist es zu schwach und führt zu häufigen Ausfällen? All das kann der Service zurückmelden, wenn er strukturiert eingebunden wird.

Mittelstand Heute: Wie profitiert die Entwicklung von diesen Informationen?

Andreas Dold: Durch das Feedback aus dem Service haben Unternehmen die Möglichkeit, Produkte konsequent am tatsächlichen Bedarf und Nutzungsverhalten der Kunden auszurichten. Traditionell neigt die Entwicklung zum Beispiel gerne zu Over-Engineering, das heißt, sie steckt viele Ressourcen in großartige Features, die in der Praxis nur selten Anwendung finden. Das verursacht unnötige Komplexität und Kosten. Wenn ich dagegen in kontinuierlichem Austausch mit den Kunden stehe, gewinne ich ein klares Bild davon, was am Markt gefragt ist. Das bringt einen Riesenvorteil im Vergleich zu einer rein produktgetriebenen Vorgehensweise, bei der ich etwas im stillen Kämmerlein entwickle und dann hoffe, dass es angenommen wird.

Mittelstand Heute: Welche neuen Geschäftsmodelle können durch die Symbiose aus Service und Produktentwicklung entstehen?

Andreas Dold: Beliebte Use Cases sind zum Beispiel Predictive Maintenance oder die automatisierte Ersatzteilbestellung. Das große Ziel am Horizont besteht aber darin, sich vom Maschinenhersteller zum Lösungsanbieter weiterzuentwickeln. Der Kunde kauft dann nicht mehr einzelne Produkte und Services, sondern bezieht eine Gesamtlösung, die genau auf seine Bedürfnisse abgestimmt ist. Abgerechnet wird im Subscription-Modell, zum Beispiel für die tatsächliche Nutzung der Maschine (Pay-per-Use) oder das Ergebnis (Pay-per-Outcome). Ein bekanntes Beispiel ist der Kompressoren-Hersteller Kaeser, der Druckluft as a Service anbietet.

Mittelstand Heute: Welche Voraussetzungen müssen dafür erfüllt sein?

Andreas Dold: Entscheidend ist, näher an den Kunden heranzurücken, stärker zu interagieren und diese Interaktion über softwaregestützte Prozesse in den Entwicklungsprozess einfließen zu lassen. Auf technischer Seite eignet sich zum Beispiel ein ein digitales Kunden- & Serviceportal. Außerdem müssen Unternehmen in der Lage sein, Daten aus der Produktionsumgebung des Kunden zu erheben. Dafür gibt es heute einsatzbereite IoT-Lösungen. Die Verbindung aus IoT, digitalem Kundenportal und ERP schafft die Voraussetzung für digitale End-to-End-Prozesse, die die Basis für serviceorientierte Geschäftsmodelle bilden. Besonders gut lassen sich solche Szenarien mit Lösungen aus dem SAP-Kosmos umsetzen, da diese bereits die Kernprozesse abbilden und viele Bereiche auf einer Plattform vereinen. Mindestens genauso wichtig wie die Technik ist aber das richtige Mindset. Unternehmen müssen bereit sein sich weiterzuentwickeln und brauchen eine Transformationsstrategie.

Mittelstand Heute: Wie sollten Unternehmen am besten vorgehen?

Andreas Dold: Der erste Schritt ist immer eine ehrliche Bestandsaufnahme: Wo steht das Unternehmen aktuell? Welchen Reifegrad haben Service und Entwicklung jeweils – sowohl technisch als auch organisatorisch? Hier helfen bekannte Reifegradmodelle als Orientierung. Darauf aufbauend sollten Unternehmen konkrete, erreichbare Ziele formulieren und diese in kleine, praxisnahe Schritte unterteilen. Wichtig ist, nicht sofort riesige Transformationsprojekte zu starten, die über Jahre laufen. Lieber fokussierte, skalierbare Digitalisierungsprojekte umsetzen, die schnell erste Erfolge zeigen und dann weiter ausgebaut werden können. So bleibt das Unternehmen flexibel und handlungsfähig, gerade in einem volatilen Marktumfeld.

Mittelstand Heute: Wo liegen die größten Herausforderungen?

Andreas Dold: Die Technik ist oft gar nicht das Problem. Geeignete Lösungen sind heute überall verfügbar. Die eigentlichen Hürden liegen meist in den Prozessen, der Unternehmenskultur und der Zusammenarbeit zwischen Abteilungen, insbesondere der IT und der Produktion. Viele Maschinenbauer sind es gewohnt, in physischen Komponenten zu denken, während digitale Services schwerer zu greifen sind. Hier braucht es Vermittlung, Verständnis und auch die Bereitschaft, neue Wege zu gehen. Ein Digitalisierungspartner kann helfen, Silos aufzubrechen und Lösungswege aufzuzeigen. Ich kann nur immer wieder appellieren: Arbeiten Sie mit Partnern zusammen! Maschinenbauer sind in ihrem Kerngeschäft zwar exzellent, stehen aber häufig noch am Anfang, wenn es um digitale Geschäftsmodelle und prozessuale Veränderungen geht. Digitalisierungsspezialisten bringen dagegen genau dieses Wissen und die nötige Erfahrung mit. 

Mittelstand Heute: Warum lohnt es sich, jetzt in die Service-Transformation zu investieren?

Andreas Dold: Tatsächlich bleibt Maschinenbau-Unternehmen gar keine andere Wahl, wenn sie langfristig am Markt überleben wollen. Es geht nicht nur darum, den Umsatz zu steigern, sondern sich resilient für die Zukunft aufzustellen. Die Verlagerung der Touchpoints mit dem Kunden in ein digitales Service-Portal ist unverzichtbar, um Prozesse zu verschlanken und Ressourcen zielgerichtet einzusetzen. Viele Unternehmen haben aufgrund des Fachkräftemangels zum Beispiel Schwierigkeiten, qualifizierte Service-Techniker zu finden. Umso wichtiger ist es, Vor-Ort-Einsätze punktgenau zu planen und Wissen zu dokumentieren. Digitalisierung dient also nicht nur der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, sondern auch dem Erhalt des bestehenden Geschäfts und der Resilienz. Nur wer digitalisiert, ist schnell, flexibel und widerstandsfähig genug, um kommende Herausforderungen zu meistern.