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Unternehmensnachfolge im Mittelstand: So gelingt die generationsübergreifende Sicherung

Geschrieben von Leif Grube | May 21, 2025 8:34:20 AM

Familienunternehmen im Wandel: Wie eine durchdachte Nachfolgeregelung den Generationenwechsel sichert – mit Fachimpulsen von Diana Tönsmann und Leif Grube.

Aktuell stellt sich für viele mittelständische Unternehmen auf Geschäftsführungs- wie auf Gesellschafterebene die Frage, wie Young Professionals der nächsten Generation eingebunden werden können. Der demografische Wandel umfasst alle Bereiche und gehört zu den großen strategischen Fragen. Im Interview beleuchten Diana Tönsmann, Soziologin und Senior Consultant bei der Allfoye, sowie Leif Grube, ehemaliger Consultant bei der Allfoye und Nachkomme einer Unternehmerfamilie, dieses wichtige Zukunftsthema aus fachlicher und persönlicher Perspektive.

Laut Ifo-Institut ¹ steht fast die Hälfte der Familienunternehmen vor einem Generationswechsel. Gleichzeitig haben gut 42 Prozent noch keine Lösung für die Nachfolge; die Motivation zur familieninternen Nachfolge wird tendenziell geringer. Wie schätzen Sie die Herausforderung ein?

Tönsmann: Ökonomisch und politisch betrachtet herrscht ein unattraktives Klima für Unternehmertum in Deutschland – im Wesentlichen ausgelöst durch Planungsunsicherheit, bürokratischen Aufwand und hohe Steuerlast. In der nachfolgenden Generation zögern viele, die damit verbundenen finanziellen Risiken einzugehen und die Verantwortung zu schultern. Auch Überlegungen zum eigenen Lebensstil spielen hier eine große Rolle. Unternehmerin oder Unternehmer zu sein, das erfordert eben auch eine gewisse Aufopferungsbereitschaft. An dieser Stelle kommt eine weitere Komponente ins Spiel: Beim Unternehmer:innennachwuchs vollzieht sich ein Wertewandel – tendenziell weg von materialistischen zu erlebnisorientierten Vorstellungen. Individualität und persönliche Lebensziele beeinflussen stärker als früher die Entscheidung, sich an ein Unternehmen zu binden.

Grube: Die Frage nach der Bindung an das Unternehmen ist für die nachfolgende Generation meiner Meinung nach wesentlich. Ich selbst habe immer schon eine gewisse Verbundenheit mit dem Familienunternehmen gespürt. Sie bezog oder bezieht sich nicht nur auf das Berufliche oder die Karriere. Meine Erfahrung ist vielmehr, dass selbst aufgebaute Unternehmen immer ein Teil des Lebens sind. Nicht nur für die Eltern, sondern auch für die nachwachsende Generation. Für mich bedeutet das Unternehmen keine Last, die mein Vater getragen hat, sondern eher eine mit Schweiß geschaffene und mit Stolz präsentierte Konstante, die immer auch Teil unseres privaten Lebens war und ist. Mit diesem Erleben bin ich sicher nicht allein; einige Bekannte berichten genau das Gleiche.

Herr Grube, dennoch führte Ihr beruflicher Werdegang erst über einen Umweg ins väterliche Unternehmen, und das auch nur vorübergehend.

Grube: Das stimmt. Bei mir reifte im Studium der Gedanke, mich zunächst in einem anderen Unternehmen als Angestellter zu engagieren, als ich konkret mit dem Arbeitsmarkt in Berührung kam. Das war für mich eine gute Entscheidung. Dennoch bin ich recht früh in meiner beruflichen Laufbahn doch in das Unternehmen meines Vaters eingestiegen. Aber ich blieb neugierig darauf, wie andere Unternehmen arbeiten, wo deren interne Schwerpunkte liegen oder welche Methoden sie in diversen Situationen anwenden. Das war mein Beweggrund, letztlich wieder einen anderen Weg einzuschlagen. Um nicht missverstanden zu werden: Das soll nicht heißen, dass ich mich für das Unternehmen meines Vaters nicht interessieren würde. Ganz im Gegenteil! Wir sprechen regelmäßig über Themen, die ihm in Verbindung mit dem Familienunternehmen auf dem Herzen liegen. Und diese Rolle nehme ich derzeit gerne an. Ob ich noch zurückfinde, wird sich zeigen. Mein Weg ist für mich der richtige – sowohl um Erfahrungen zu sammeln als auch um hier und da Abstand von dem mich mein Leben lang begleitenden Unternehmen zu halten.

Kümmern sich die Inhaberfamilien früh genug um eine Lösung für die Nachfolge oder schieben sie diesen Gedanken zu lange vor sich her?

Grube: Leider kenne ich zu wenige mittelständische Inhaberfamilien, um hier zu einer validen Aussage zu kommen. Das überlasse ich also gerne Diana. Speziell im Bereich der kleineren Unternehmen habe ich jedoch einige Unternehmer:innen kennengelernt, die sich meiner Meinung nach viel zu spät mit dem Thema Nachfolge beschäftigt haben. Für viele gehört das Unternehmen so lange und so untrennbar zum Leben dazu, dass sie den geeigneten Zeitpunkt einfach verpassen. Wenn noch dazu aus dem Kreis der Familie kein Impuls kommt, die Zukunft strukturiert zu planen, fällt es ihnen umso schwerer, sich mit dem Gedanken des Loslassens auseinandersetzen. Ich kenne durchaus Unternehmen, in denen auch der Senior (Großvater) regelmäßig in das Büro kommt – obwohl er längst nicht mehr in der Verantwortung steht.

Tönsmann: Das möchte ich unterstreichen. Viele Unternehmerfamilien setzen sich tatsächlich zu spät und zu wenig systematisch mit der Nachfolgeregelung auseinander. Aber sie sind darin oftmals auch nicht geübt; Nachfolge war für manche historisch lange, über Generationen lange kein Thema. Dass die eigenen Kinder das Unternehmen weiterführen würden, galt als Normalfall. Heute hingegen lässt sich beobachten, dass zwar der Wunsch nach einer innerfamiliären Lösung vorhanden ist, dies aber nicht mehr wie selbstverständlich funktioniert. In diesem Kontext verdient die Reflexion darüber, ab wann und wie die nächste Generation strukturiert an das Unternehmen herangeführt werden sollte, ein stärkeres Augenmerk. Denn Familienunternehmer:innen wandeln auf einem schmalen Grat: Auf der einen Seite wünschen sie sich, dass das Unternehmen in Familienhand bleibt. Auf der anderen Seite wollen sie – wie alle Eltern – das Beste für ihre Kinder. Sie sollen selbst entscheiden können, welche Wünsche und Ziele sie verwirklichen möchten. Wenn die Kinder auf die damit verbundenen Lebensentscheidungen nicht aktiv und frühzeitig vorbereitet werden, treffen sie irgendwann ihre Wahl ohne hinreichende Kenntnisse – sie haben im Moment der Wahrheit gegebenenfalls keine konkrete Vorstellung vom Unternehmen und den damit verbundenen Möglichkeiten.

 

Dabei heißt es doch immer, dass mittelständische und insbesondere Familienunternehmen generationenübergreifend denken und handeln?

Grube: Das sehe ich auch so. Und das hat viel mit der Tradition, den Wurzeln und der empfundenen Verpflichtung gegenüber der Familie, den Mitarbeitenden aber auch der Region zu tun. Bei der konkreten Nachfolgeplanung ist es aber so, wie es Diana beschreibt: Es ist ein emotionaler Spagat zwischen zwei Wünschen – dass die nächste Generation im Unternehmen arbeitet und gleichzeitig, dass sie ihren eigenen Weg verfolgt. Dabei wird der Prozess der Heranführung oft zu spät initiiert. Es hilft nichts, in Generationen zu denken, wenn der Prozess des Generationenwechsels nicht richtig oder nicht rechtzeitig angestoßen wird.

Tönsmann: In unserer Beratungspraxis bestätigt sich immer wieder, dass Familienunternehmen langfristig und über Generationen hinweg denken. Das liegt in ihrer DNA. Für Familienunternehmen, die von Tradition und Emotion geprägt sind, genau wie Leif es eben gesagt hat, stellt nicht die rein wirtschaftliche Gewinnmaximierung das Ziel dar, sondern die langfristige Überlebensfähigkeit. Die Inhaberfamilien sind bestrebt, das Unternehmen in die nächsten Generationen zu überführen und somit ihr Vermächtnis weiterzugeben. Um dies sicherzustellen und zudem die Geschichte sowie die Identität des Unternehmens zu wahren, entscheiden sich viele Unternehmerfamilien dafür, eine normative Strategie auszuarbeiten, die innerhalb einer Familiencharta festgehalten wird.

Welche Vorteile bietet eine Familiencharta für das Nachfolgemanagement?

Tönsmann: Das übergeordnete Ziel der Familiencharta ist die langfristige und erfolgreiche Sicherung des eigenen Unternehmens. Die Familiencharta stellt nicht nur den verbindlichen Rahmen für ein Unternehmen dar, in dem verschiedene Strategien entwickelt werden, sondern es wird auch das gemeinsame Verständnis von Normen, Werten, Zielen, Regeln und Rollenverständnissen der Unternehmerfamilie festgehalten.

Grube: Familiencharta klingt natürlich sehr groß – speziell für Unternehmer:innen, die bisher mit einem solchen Konstrukt nicht in Berührung gekommen und darüber hinaus operativ ins Tagesgeschäft eingebunden sind. Erfahrungsgemäß und je nach Vorarbeit, Kenntnisstand und externer Unterstützung kann der Chartaprozess drei bis zwölf Monate Zeit in Anspruch nehmen. Diese Ressourcen können viele Unternehmer:innen einfach nicht bereitstellen. Doch selbst dann lohnt es sich auf jeden Fall aufzuschreiben, wie beispielsweise eine Übergangslösung hinsichtlich der Zusammenarbeit aussehen könnte, an welchen Werten sich alle Beteiligten orientieren möchten, wie mit Konflikten umgegangen wird und wie man miteinander kommunizieren möchte. Diese Verschriftlichung kann ich jedem Unternehmen in Familienhand nur empfehlen. Die Kommunikation verändert sich dadurch, und ich denke: zum Besseren. Ein, ich nenne es mal so, Verhaltenskodex ² schafft eine effektive Gesprächsgrundlage, auf der man die Themenfelder Familie und Unternehmen gut auseinanderhalten kann. Man bricht damit die familiären Kommunikationsroutinen und -gepflogenheiten auf und bringt auf diese Weise ein wenig Distanz in die Rollenverhältnisse von Vater – Mutter – Tochter – Sohn. Man sollte nicht unterschätzen, welch große Herausforderung für Kinder darin liegt: Sie sind mit dem Unternehmen im Privaten immer konfrontiert – da sollte gerade für die heutige Generation hier und da Abstand zum Unternehmen möglich sein.

Inwieweit hilft eine Familiencharta, um im Kreise der Gesellschafter:innen die Unternehmer:innenpersönlichkeiten der kommenden Generation zu identifizieren?

Tönsmann: Das ist differenziert zu betrachten. In einer Familiencharta wird festgelegt, wie und unter welchen Voraussetzungen jemand aus der Familie überhaupt im Unternehmen und vor allem in der Unternehmensführung arbeiten kann. Als externe Berater:innen verstehen wir durchaus den Wunsch, dass ein Familienmitglied die Leitung übernimmt. Unsere Empfehlung lautet aber, dass es immer einen professionellen, extern begleiteten Auswahlprozess geben sollte und Familienangehörige immer dem Vergleich mit Kandidat:innen von außen standhalten müssen. Schließlich steht für die meisten Unternehmerfamilien die langfristige Überlebenssicherheit des Unternehmens an erster Stelle. Und aus diesem Grund sollten auch die fähigsten Personen an der Spitze des Unternehmens positioniert werden. Das kann ein Familienmitglied sein, muss es aber nicht. Der Auswahlprozess sollte nach bester Eignung und Neigung erfolgen. Beide Aspekte müssen in Unternehmerfamilien nicht wie selbstverständlich gegeben sein. Häufig stellt sich für die Familien neben der Frage, wer über ein Kompetenzprofil für die Unternehmensführung verfügt, eben auch die Frage danach, wer überhaupt Interesse und Lust an einer Mitarbeit im Familienunternehmen verspürt. Dabei kann der Chartaprozess insbesondere helfen, wenn mit der nächsten Generation intensiv in Schulungen, Workshops, individuellen Coachings gearbeitet wird. Dadurch lernen die Personen das Unternehmen, und die Chancen zur Mitarbeit und schließlich auch sich selbst besser kennen und einschätzen. Ihnen dürfte es nach dieser systematischen Heranführung an das Unternehmen jedenfalls leichter fallen, den eigenen Lebensweg proaktiv zu gestalten. Und nicht zu vergessen: Bei manchen jungen Leuten wird erst über den Chartaprozess das Interesse an einer Mitarbeit im Unternehmen geweckt.

Grube: Dem kann ich nur zustimmen. Ein weiterer Aspekt ist, dass der Entscheidungsprozess zwischen interner und externer Lösung unbedingt transparent und nachvollziehbar gestaltet werden muss. Die jungen Leute der nachfolgenden Generation schalten schnell in einen Rechtfertigungsmodus, wenn ein Vergleich mit externen Kandidat:innen nicht qualifiziert durchgeführt und kommuniziert wird. Hier drohen im Gesellschafterkreis Sekundäreffekte durch Verletzungen und Kränkungen, die einem Unternehmen auf lange Sicht schaden können. Zudem ist es auch wichtig, perspektivisch darüber nachzudenken, wie die Familie systemisch und generationenübergreifend zu verstehen ist. Möglicherweise können wesentlich jüngere Familienmitglieder, die aber von ihrem Werdegang noch nicht so weit sind, eine wichtige Funktion in Zukunft besser ausführen als Familienmitglieder, die in ihrer Entwicklung schon weiter sind und kurz vor dem Abschluss ihrer Ausbildung oder ihres Studiums stehen..

Welchen Rat können Sie Familienunternehmen mitgeben, um Nachfolgefragen strategisch und mit hohen Erfolgsaussichten anzugehen?

Grube: Meiner Meinung nach ist es sinnvoll, sich mit besonders zwei Themen konkret auseinanderzusetzen. Zum einen geht es um die Organisationsstruktur. ³ Wie ist die Organisation aufgebaut? Welche Tochterunternehmungen oder Beteiligungen gibt es? Welche Verbindungen haben die einzelnen Tochterunternehmungen? Zum anderen geht es um die Familie: Wie stellen sich meine Familienverhältnisse konkret dar? Welche Familienmitglieder haben welche Stärken? Wie und wo können sie diese am besten einbringen? Wer kann und möchte welche Rolle im Unternehmen einnehmen? Welche familiären Verbindungen sprechen gegebenenfalls gegen eine entsprechende Besetzung? Insbesondere der Teil, der sich auf die Familie bezieht, ist elementar und sollte nicht außen vor gelassen werden. Wenn persönliche Differenzen innerhalb der Familie nicht adressiert werden, können sie einem Unternehmen nachhaltig Schaden zufügen.

Tönsmann: Ich denke, Ihre Frage greift viele der bereits erwähnten Aspekte wieder auf. Ich erlaube mir eher so etwas wie ein Fazit: Nachfolgefragen sollten bewusst, früh und systematisch angegangen werden. Es beginnt damit, ob ein Familienmitglied die einzige, die favorisierte oder vielleicht auch gar keine Lösung ist. Die Antwort darauf eröffnet mitunter einen grundsätzlich größeren Entscheidungsraum für eine fundierte und erfolgreiche Nachfolgeregelung. Zudem können auf diese Weise Interessen und Potenziale der nächsten Generation geweckt, entdeckt und gezielt gefördert werden. Wir sprachen zuvor über Heranführungspläne inklusive Schulungen und Coachings, aber der Prozess beginnt oft, wie Leif es geschildert hat, viel früher im familiären Umfeld. Was leben die eigenen Eltern bezüglich des Unternehmens zu Hause vor? Wird offen und ausgiebig vom Unternehmen gesprochen oder nicht? Grundsätzlich gilt: Je präsenter den heranwachsenden Kindern und Jugendlichen das Familienunternehmen und die damit verbundenen persönlichen Entwicklungspotenziale sind, desto besser stehen die Chancen auf eine erfolgsversprechende und im Gesellschafterkreis weithin unterstützte Nachfolgeregelung.

Frau Tönsmann, Herr Grube, vielen Dank für das Gespräch.

 

Dieses Gespräch führte Christoph Berdi von den Identitätsstiftern.