KI als Treiber für Digitalkompetenz: Warum jetzt der richtige Zeitpunkt für den Einstieg ist und wie Unternehmen den Wandel strategisch gestalten können.
Der Boom der Künstlichen Intelligenz (KI) hält die Wirtschaft in Atem. Zwischen pragmatischen Anwendungen generischer KI-Agenten, etwa dem „Copilot“ in Microsoft-Programmen, und der strategischen Implementierung in die Wertschöpfungsprozesse suchen viele Unternehmen passende Einsatzszenarien. Patric Huchtemeier, Director der Allfoye Managementberatung, beschreibt, welche weitreichenden Anforderungen KI an die gesamte Organisation stellt – und wie die Technologie als Brücke zu einer umfassenden Digitalkompetenz genutzt werden kann.
Jede wegweisende technologische Innovation durchläuft in ihrer Einführungsphase Höhen und Tiefen. Auf die Euphorie und den Reiz des Neuen folgt in der Regel die Ernüchterung. Anbieter und Anwender bekommen die PS zunächst nicht auf die Straße, und es dauert noch Jahre, bis eine nutzenstiftende Produktivität erreicht wird. Das ist, in groben Zügen, die Abfolge eines sogenannten „Hype Cycle“, wie ihn das Marktforschungsinstitut Gartner zur Bewertung von Technologien nutzt. Selbst die vielfach gefeierten generischen Künstlichen Intelligenzen („GenAI“) haben demnach das Tal der Tränen noch nicht einmal erreicht und werden weitere zwei bis fünf Jahre benötigen, um ein wirklich produktives Niveau zu erreichen. Die gute Nachricht ist: Es ist für Unternehmen zwar unabdingbar, mittels KI die künftige Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, aber auch längst noch nicht zu spät für den Einstieg. Mehr noch: Das Handlungsfeld KI, an dem mittelfristig niemand vorbeikommt, kann als Initialzündung für eine höhere Digitalkompetenz im Unternehmen dienen.
Der deutsche Mittelstand arbeitet – mit unterschiedlicher Intensität – seit dem Durchbruch von ChatGPT gegen Ende des Jahres 2022 an effektiven Einsatzmöglichkeiten Generative KIs. Einige Unternehmen haben Künstliche Intelligenz bereits erfolgreich in ihre Arbeitsabläufe integriert; andere begegnen ihr noch mit Unsicherheit oder experimentieren ohne klare Strategie. Bislang überwiegt offenbar der Wunsch, mithilfe von KI bestehende Prozesse effizienter zu gestalten oder bei kreativen Aufgaben schneller gute Ergebnisse zu erzielen. Mögliche „Use Cases“ gibt es genug. Mit einem klug formulierten Prompt lassen sich komplexe Datenbanken zu einem übersichtlichen Dashboard transformieren. Und wer wollte nicht davon profitieren, wenn eine KI die Kalenderführung und Terminplanung in einem Team optimal koordinieren würde? Dies könnte zu einer erheblichen Zeitersparnis und damit zu einem messbaren betriebswirtschaftlichen Mehrwert führen. Bei aller Begeisterung für die rasanten Leistungssteigerungen der verfügbaren KIs zeigt sich in der Praxis aber oft, dass viele derzeit verfügbaren Lösungen solche Ansprüche noch nicht zufriedenstellend erfüllen. Ohnehin gelingt mit Standardtools keine Differenzierung vom Wettbewerb. Die entscheidende Frage, wie sich KI systematisch wie strategisch in die Wertschöpfung und Geschäftsmodelle integrieren lässt, bleibt in vielen Unternehmen noch unbeantwortet.
Die Dynamik des technologischen Fortschritts in Künstlicher Intelligenz stellt die Unternehmen dabei vor anspruchsvolle Aufgaben. Ein zentrales Missverständnis besteht darin, KI als rein technisches Projekt und damit als originäre Aufgabe der IT-Abteilung zu betrachten. Davor kann man nur warnen. Ebenso wenig kann eine KI-Strategie im Elfenbeinturm der Geschäftsleitung entwickelt werden. Vielmehr gilt es, KI nicht nur als technisches Werkzeug, sondern als Katalysator für die gesamte Organisationsentwicklung zu begreifen.
KI verlangt nach einer kollektiven Innovationskultur und nach iterativen Vorgehensweisen, in der die Mitarbeitenden Ideen und Erfahrungen regelmäßig austauschen und eine hohe Digitalkompetenz entwickeln. Veränderungskompetenz ist dabei Trumpf. Unternehmen sind als lernende Organisationen gefragt, die Wissen nicht nur speichern und verwalten, sondern kontinuierlich aktualisieren und rege nutzen. Ebenso müssen Projektplanungen und Zielbilder variabel angepasst werden.
Ein Tipp für den Start: Eine realistische Erwartungshaltung bewahrt vor großen Enttäuschungen. Das Versprechen von KI liegt ohnehin nicht in der universellen Lösung aller Probleme, sondern in der selektiven Optimierung von Prozessen. Deshalb ist es sinnvoll, mit niederschwelligen Anwendungsfällen zu starten und die Digitalkompetenz der Belegschaft nach und nach aufzubauen. Große Leuchtturmprojekte hingegen binden viele Ressourcen, überfordern mitunter die Mitarbeitenden und laufen ständig Gefahr, an den wahren Herausforderungen des Unternehmens vorbeizuzielen. Besser ist es, Laborsituationen zu schaffen – im Umfang überschaubar, aber durchaus ambitioniert und mit konkreten Zielen hinterlegt. Als Einstieg bieten sich zum Beispiel folgende Projekte an:
Solche pragmatischen und vom Charakter her explorativen Lösungen generieren schnell erkennbare Mehrwerte. Sobald diese Erfolge greifbar werden und sich auch Mitarbeitende für die KI und ihr Potenzial begeistern, kann die Organisation ihre KI-Strategie weiterentwickeln, den Kreis der Nutzerinnen und Nutzer erweitern und gezielt in komplexere Anwendungsfälle investieren. Beispielsweise lassen sich durch den Einsatz von Machine Learning ¹ in der Datenanalyse neue geschäftsrelevante Erkenntnisse gewinnen oder KI-gestützte Entscheidungsassistenten für die strategische Planung, im Controlling und im Personalmanagement heranziehen. Die Kür besteht darin, dass die Unternehmen ihre eigenen, proprietären Daten nutzen und diese mit den leistungsfähigen Sprachmodellen sog. „Foundations Modells“ verknüpfen.
Die Implikationen für die Menschen im Unternehmen dürfen dabei nicht unterschätzt werden. Die Erfahrung zeigt: Der Erfolg neuer Technologien hängt zu 70 Prozent davon ab, die Menschen zu begeistern, und nur zu 30 Prozent von der Lösung selbst. Viele Mitarbeitende hegen Vorbehalte gegenüber der Technologie. Die Faszination angesichts der Chancen und Potenziale korreliert mit den Sorgen und Ängsten: Ist die KI mein Assistent, mein Kollege oder mein Konkurrent? Das sind essenzielle Fragen, mit denen Unternehmen umgehen müssen. Als ein Dienstleistungsunternehmen KI-gestützte Entscheidungsprozesse implementieren wollte, fühlte sich der Betriebsrat übergangen und organisierte massiven Widerstand, der in plakativer Kritik an der Unternehmensführung zum Ausdruck kam: „Sie öffnen hier das Tor zur Hölle.“ Solche Kommunikationsdesaster führen zu signifikanten Verzögerungen im Prozess und zeugen von einer verletzten Vertrauensbasis.
Kulturelle Begleitung – Stichwort Change Management – erscheint also unabdingbar, um Künstliche Intelligenz produktiv zu nutzen. Schließlich führt KI geradewegs in eine komplett neue Arbeitswelt: Moderne KI-Systeme sind dialogorientiert und menschenähnlich in ihrer Interaktion. Dies verändert die Art und Weise, wie Mitarbeitende mit der Technologie umgehen – bis hin zum Aufbau einer quasi-persönlichen Beziehung zu KI-Tools. Nicht selten ist zu beobachten, dass Nutzerinnen und Nutzer die Software loben oder frustriert reagieren, je nachdem, wie die Künstliche Intelligenz performt. Dieses Phänomen ist aufschlussreich und gibt wertvolle Hinweise, wie die Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine gestaltet werden sollten, damit die Transformation gelingt:
Vision Ihrer Organisation der Zukunft entwickeln: Wenn Sie die Einführung Künstlicher Intelligenz konsequent zu Ende denken, wie müssen Sie Ihre Struktur- und Ablauforganisation langfristig anpassen, wenn KI-Bots zukünftig niederschwellige bis komplexe kognitive Arbeit unterstützen oder Prozesse sogar selbstständig ausführen? Welche Kompetenzen werden dann benötigt und an welcher Stelle?
Das Interessante an der KI-Revolution ist: Sie kreiert einen Jetzt-oder-nie-Moment. Für die einzelnen Mitarbeitenden wie für die gesamte Organisation läuft es darauf hinaus, eine Entscheidung zu treffen: Wollen sie in der digitalen Transformation souverän agieren und ihre Wettbewerbsfähigkeit aktiv gestalten? Oder wollen sie zu den Nachzüglern gehören, die der Konkurrenz hinterherlaufen? Erst wenn man sich klar für KI entschieden hat, kann ein Unternehmen sie nutzen, um über spielerische erste Schritte, über konkrete Use Cases und strategische KI-Projekte schließlich die Digitalkompetenz der gesamten Organisation zu fördern. Wichtig ist, einen Hafen zu schaffen – in Form eines KI Zielbildes, das den Sollzustand und die Potenziale des Unternehmen erfasst. Schließlich geht es nicht darum, lediglich einem Trend oder Hype zu folgen, sondern eine strategisch fundierte und chancenorientierte Implementierung zu erreichen. Die Bereitschaft der Mitarbeitenden, sich darauf einzulassen, dürfte größer denn je sein. Große Konzerne haben bereits reagiert und Learning-Hubs, Digital- und Coding-Akademien aufgebaut respektive Schulungscenter eingerichtet. Solche Angebote mögen für mittelständische Unternehmen überdimensioniert erscheinen, aber auch für sie ist es alternativlos, entsprechende Qualifizierungsprogramme zu schaffen.
Kurzum: Künstliche Intelligenz ist keine abstrakte Zukunftsvision mehr, sondern bereits ein essenzieller Bestandteil unternehmerischer Realität. Die KI-Transformation ist also nicht mehr eine Frage des „Ob“ und auch nicht mehr eine Frage des „Wann“ – das ist jetzt –, sondern nur noch eine Aufgabe des „Wie“, der Gestaltung. Dabei gilt: Struktur schlägt Hektik. Wettbewerbsvorteile durch eine höhere Digitalkompetenz werden vor allem jene Unternehmen erzielen, die Künstliche Intelligenz als Treiber für ihre Adaptions- und Anpassungsfähigkeit interpretieren und sich als lernende Organisation neu erfinden.
Redaktionelle Unterstützung: Bettina Dornberg & Christoph Berdi (die „Identitätsstifter“).