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KI Use Cases im Finance-Bereich: Von Zahlen zu Entscheidungen

Geschrieben von Dr. Daniel Jorde | Nov 20, 2025 1:18:01 PM

Anhand von einschlägigen KI Use Cases zeige ich, wie Künstliche Intelligenz das Finanzwesen – und damit das gesamte Unternehmen – transformiert.

Einleitung: Vom Roadshow-Use-Case zur Entscheidungsintelligenz

Im Rahmen unserer KI-Roadshow 2025 haben wir gemeinsam mit Kunden und Interessenten zahlreiche Anwendungsfälle für Künstliche Intelligenz identifiziert – von Einkauf über Marketing und Vertrieb bis hin zu Produktion und Logistik. Jeder Fachbereich hat dabei seine eigenen Potenziale, Muster und Herausforderungen gezeigt. Der Finance-Bereich ist nun der letzte Baustein in dieser Reihe – und gleichzeitig einer der spannendsten, denn er steht im Zentrum der Unternehmung. Hier entscheidet sich, wie Daten, Prozesse und strategische Weichenstellungen zusammenfließen.

Während sich in anderen Fachbereichen KI häufig auf operative oder direkte, pain-point getriebene Verbesserungen konzentriert – etwa auf Qualitätskontrolle in der Produktion oder auf personalisierte Kampagnen im Marketing – berührt sie im Finance-Bereich das Nervensystem des gesamten Unternehmens. Denn alles, was in Einkauf, Vertrieb oder Produktion passiert, spiegelt sich letztlich in Zahlen wider. Genau diese Abhängigkeit macht KI im Finance-Bereich zu einem mächtigen Werkzeug – nicht nur für mehr Effizienz, sondern auch für bessere Entscheidungen.

Datenqualität als Fundament: Ohne gute Zahlen keine Intelligenz

Bevor KI im Finance-Kontext echten Mehrwert schaffen kann, braucht es eine solide Datengrundlage. Die Systeme müssen verstehen, was in einem Unternehmen tatsächlich passiert – und das gelingt nur, wenn die Zahlen stimmen.

Hier unterscheiden wir zwischen Stammdaten und Bewegungsdaten. Bei den Stammdaten – also den grundlegenden Unternehmensinformationen – kann KI helfen, fehlende oder fehlerhafte Angaben zu erkennen und zu korrigieren. Eine automatische Datenqualitätsprüfung auf Basis von Machine Learning kann Anomalien identifizieren, Dubletten bereinigen und Datenkonsistenz sicherstellen.

Bei den Bewegungsdaten – etwa Buchungen, Zahlungen oder Rechnungen – kommt die KI vor allem in der Plausibilitätsprüfung ins Spiel. Sie erkennt Muster in den Finanzströmen, weist auf Unregelmäßigkeiten hin und schlägt gegebenenfalls Nachprüfungen vor. Diese Art der Anomalieerkennung schafft Transparenz und Vertrauen in die Daten, bevor sie in Forecasts oder Simulationen einfließen.

Das Ergebnis: Ein klareres, zuverlässigeres Zahlenbild, auf dem jede weitere Entscheidung aufbauen kann.

Automatisierung im Alltag: Effizienz durch intelligente Prozesse

Neben der Datenqualität ist die Automatisierung operativer Prozesse ein zentraler Anwendungsfall. Viele Abläufe rund um Einzahlungen und Auszahlungen folgen festen Regeln – ideal für KI-basierte Unterstützung.

Beispiele sind automatische Kontierungen, bei denen eingehende Buchungen automatisch Kostenstellen, Projekten oder Abteilungen zugeordnet werden. Auch die Erkennung und Verbuchung von Rechnungen kann zunehmend durch KI-Modelle erfolgen, die Beleginhalte interpretieren und Geschäftsvorfälle korrekt einordnen. Solche Systeme entlasten Finanzabteilungen erheblich, reduzieren Fehler und beschleunigen Prozesse – gerade in Organisationen mit hohem Belegvolumen.

Im nächsten Schritt eröffnet KI neue Möglichkeiten im Self-Service Reporting: Statt komplexer BI-Abfragen können Mitarbeitende über Chat-Interfaces direkt Fragen an ihre Finanzdaten stellen – „Wie war unsere EBITDA-Entwicklung im letzten Quartal?“ – und erhalten sofort visuell aufbereitete Antworten. So wird der Zugang zu Finanzinformationen demokratisiert und Entscheidungsgeschwindigkeit gesteigert.

Von der Vergangenheit in die Zukunft: Forecasting und Simulation

Sind die Ist-Daten konsistent, rückt der Blick nach vorne in den Mittelpunkt. Hier entfaltet KI ihr volles Potenzial: Sie analysiert historische Entwicklungen, erkennt Einflussfaktoren und erstellt daraus Prognosen und Szenarien.

Klassische Forecasting-Modelle basieren oft auf statischen Annahmen. KI-gestützte Modelle hingegen lernen dynamisch aus neuen Daten. Sie passen sich an Veränderungen im Marktumfeld, in der Nachfrage oder im Kostenverhalten an und verbessern so kontinuierlich ihre Prognosequalität.

Doch damit nicht genug: Wenn die relevanten Werttreiber bekannt sind – also die Faktoren, die Gewinne, Kosten oder Liquidität maßgeblich beeinflussen – kann KI auch Simulationen durchführen. Unternehmen können Fragen wie „Was passiert, wenn sich die Nachfrage in Region A um 10 % erhöht?“ oder „Wie wirken sich veränderte Zölle auf unsere Marge aus?“ datenbasiert beantworten. Auf Basis der erlernten Modelle entstehen realistische Zukunftsszenarien, die Managemententscheidungen absichern und Risiken minimieren.

Decision Intelligence: Die nächste Stufe der Unternehmenssteuerung

All diese Entwicklungen führen zu einem zentralen Konzept: Decision Intelligence. Dieser Begriff beschreibt die Fähigkeit, Entscheidungen auf Basis datengetriebener, lernender Systeme zu treffen – intelligent, konsistent und nachvollziehbar.

Im Finance-Bereich bildet Decision Intelligence den logischen nächsten Schritt nach Reporting und Forecasting. KI-Modelle erkennen Muster, identifizieren Abweichungen, simulieren mögliche Zukünfte und leiten daraus Handlungsempfehlungen ab. Damit wird der Sprung von der reaktiven zur proaktiven Unternehmenssteuerung vollzogen.

Das Ziel ist nicht, menschliche Entscheidungen zu ersetzen, sondern sie besser zu machen. Führungskräfte erhalten datenbasierte Empfehlungen, die auf komplexen Zusammenhängen beruhen – beispielsweise wie Preisänderungen, Lieferengpässe oder Nachfrageverschiebungen zusammenspielen. Auf dieser Basis können sie Maßnahmen schneller ergreifen, präziser bewerten und zielgerichteter umsetzen.

Langfristig verändert das die Rolle des Finanzbereichs: Er wird zum strategischen Taktgeber, der datengetrieben steuert, statt nur zu berichten.

Fazit: Von der Automatisierung zur Intelligenz

Während KI im Einkauf, Marketing oder in der Produktion meist innerhalb des jeweiligen Fachbereichs wirkt, hat sie im Finance-Bereich organisationsweite Auswirkungen. Entscheidungen im Controlling oder in der Unternehmenssteuerung greifen direkt in alle anderen Bereiche ein – von der Produktionsplanung bis zur Personalstrategie.

Wenn KI hilft, die Ursachen hinter Finanzentwicklungen zu verstehen, führt das automatisch zu einem Drill-Down in andere Fachbereiche. Denn jede Zahl hat ihren Ursprung in einem realen Prozess.

KI im Finance-Bereich beginnt mit der Automatisierung einfacher Prozesse – der richtigen Kontierung, der sauberen Datenbasis, dem schnelleren Reporting. Doch ihr wahres Potenzial entfaltet sie, wenn sie zu einem Werkzeug der Decision Intelligence wird. Dann hilft sie Unternehmen, ihre Zukunft zu verstehen, zu gestalten und aktiv zu steuern.

Am Ende steht nicht die Frage, ob KI die Arbeit im Finance-Bereich verändert – das tut sie bereits. Die entscheidende Frage lautet: Wie schnell gelingt es Unternehmen, aus Zahlen echte Entscheidungen zu machen?